Elternabend...

Gestern hatte ich Elternabend.  Im Vorfeld hatte ich gedacht, hoffentlich komme ich pünktlich raus, habe nicht zu viele Eltern in der Schlange, und schön wäre es auch, wenn die Eltern von meinen Problemkindern kommen würden...Naja, und dann kam es -nicht ganz unerwartet- anders.
Insgesamt kamen von den 50 Elternpaaren nur 8, natürlich waren 6 Eltern von guten bis fantastischen Schülern und nur zwei von Kindern, die wirklich Lernschwierigkeiten haben.

Theoretisch war ich so schnell fertig, dass ich schon eine Stunde vor offiziellem Ende hätte nach Hause fahren können... praktisch geht das natürlich nicht.
Also setzte ich mich in meine Klasse, und dachte über das letzte Gespräch mit einem Vater nach.

Seine Tochter, eine Zweitklässlerin hat große Probleme mit Mathe und Deutsch, Arbeitsgeschwindigkeit im Allgemeinen. Er fragte:" Und was schlagen sie vor, was sollen wir tun? Wie können wir helfen?" Ich antwortete: "Ja sehen sie, die Probleme beim Lesen und Schreiben sind so arg, dass ich denke, ein wenig Unterstützung von zu Hause oder im Notfall einer Privatnachhilfe sind unbedingt notwendig. Und in Mathe wäre es gut, wenn das Mädchen täglich 5 bis 10 Minuten extra übt, meinetwegen Plus-Minusaufgaben wiederholt, oder die Malreihen durchgeht, damit sie sich im Unterricht dann sicherer fühlt." Die Antwort vom Vater:" Sehen sie, meine Tochter hat ja zweimal pro Woche eine Tutorin für Deutsch, sie macht auch Leseübungen und Ordnungstechniken. Einmal die Woche geht sie auch zu einem Rechenkurs und ein zu einer Psychologin, die mit Ihr Neuronet gegen die Langsamkeit und Aufmerksamkeitsprobleme macht."

Ich war platt. Eine Zweitklässlerin, die viermal pro Woche Nachhilfe in den verschiedensten Lebensbereichen hat und das schon seit Monaten, und im Unterricht haben wir von alledem nichts bemerkt...Also keinerlei positiven Effekt verspürt...

Ich riet dem Vater anschließend, die vielen Nachhilfekurse zu stoppen, dem Mädchen Zeit zum Spielen, Basteln und Schlafen zu verschaffen. Es gibt für mich nichts Schlimmeres als Kinder, die keine Zeit zum Kind sein haben, bzw. Eltern, die denken, dass der akademische Erfolg der Kinder ihre Zukunft allein bestimmt.

Manchmal (eigentlich sogar ziemlich oft) denke ich deshalb, dass Notengebung anders stattfinden sollte. Menschliche Eigenschaften wie zum Beispiel, dass meine kleine Zweitklässlerin zum Beispiel eine liebevolle Freundin ist, die tolle und kreative Bilder malen kann, immer ehrlich ist und sich immer bemüht, anderen hilft und auch mal Material verleiht oder ein Pausenbrot teilt, weil jemand anders keines hat... das bewerten wir nicht.
Wir sehen auch nicht, dass dieses kleine Mädchen vielleicht später mal eine bessere Chefin sein könnte, als der Einser-Matheheld, der sich egoistisch immer für den besten hält und der ja auch am Ende eines Semesters von uns darüber eine Bestätigung erhält...sein Zeugnis.

Kinder kommen in die Schule um zu lernen. Und alle lernen auch etwas. Einige lernen die Inhalte, die wir ihnen vermitteln wollen. Andere lernen, dass sie vieles nicht können.
Das macht mich traurig. Schule sollte ein Ort sein, an dem Kinder lernen können zu leben, und dieses "leben" sollte nicht dadurch verdrängt werden, dass krampfhaft Inhalte auswendig gelernt werden, nur damit man eine gute Note bekommt.

Es ist ein Debakel. Und wir Lehrer mittendrin.

Das Bild ist von www.colourbox.com

10 Kommentare:

  1. Recht hast du!
    Liebe Grüße, Andrea

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    1. Schade, dass man von Recht haben allein die Welt nicht ändern kann...

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  2. Hallo! Erst einmal danke für die vielen schönen Dinge an denen du uns mit deinem Blog teilhaben lässt.
    Dein Beitrag macht mich auch sehr nachdenklich. Zum Glück ist es bei uns in Bremen inzwischen so, dass die Noten in den Grundschulen demnächst flächendeckend abgeschafft werden und es andere Bewertungs- und Rückmeldungselemente für Eltern und Kinder geben wird. Ich unterrichte seit Jahren notenfrei und habe es immer als besser empfunden. In Lernentwicklungsberichten kann man die Fähigkeiten von Kindern, wie du sie beschreibst wesentlich besser darstellen.
    In einer Schule, die die Inklusion ernst meint, geht es sowieso nicht anders.
    Liebe Grüße, Iris

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    1. Liebe Iris, das klingt aber interessant. Mich würde interessieren wie so ein Lernentwicklungsbericht aussehen soll. Hier in Guatemala sind wir da glaube ich auf einem ganz anderen Weg. Wir müssen früh selektieren, aufs Abi vorbereiten....Stress pur...
      Und deshalb macht es mich manchmal traurig, dass da Kinder dem System wirklich zum Opfer fallen können.

      Beste Grüße, Jasmin

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  3. Dann war es ja fast von Vorteil, dass nur so wenige Eltern da waren. So konntest du für dieses eine Kind etwas Positives bewirken. :) Wobei ich aber auch nachempfinden kann, wie frustrierend es ist, wenn man einen Elternabend vorbereitet und dann kommen nur so wenige.
    Hoffentlich haben die Eltern des Mädchens nun verstanden, wie dringend Kinder Freiraum zum Spielen, Träumen und auch mal Langeweilehaben benötigen, um zu eigenständigen Persönlichkeiten heranzureifen.
    Vielen, vielen Dank für deinen wunderbaren Blog, in dem ich immer wieder sehr gerne lese.
    Liebe Grüße, Heike

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    1. Liebe Heike, es war schon gut, etwas mehr Zeit für die jeweiligen Eltern zu haben. Ob der Vater die Sache verstanden hat weiß ich nicht. Ich habe aber glaube ich einen heftigen Eindruck hinterlassen, und das Weltbild ordentlich ins Wackeln gebracht, dass man durch noch mehr pauken, noch mehr erreichen kann...Ich hoffe, dass es für das Mädchen etwas bringt...
      LG,
      Jasmin

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  4. Ich gebe dir vollkommen recht! Danke, für deinen Beitrag. Wir haben bald keine Noten mehr an unserer Schule - voll cool, aber immer ein Kompromiss, weil die nachfolgenden Schulen ja doch immer Noten wollen, weil so ein extremer Run auf Gymnasien besteht :-/
    Liebe Grüße
    Franziska

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    1. Hallo liebe Franziska, bei uns ist der Druck auch enorm hoch, für Lehrer und Kinder. Wir sind die einzige Schule, die Abitur anbietet, sonst kannst du nur einen nationalen Abschluss machen, der aber international nicht so viel Wert hat. Unsere Schule reicht vom Vorkindergarten bis zum Abitur und ist eine Privatschule. Sprich eigentlich sollen wir schon bei den Kleinsten im Auge haben, ob sie vielleicht mal ein Abi schaffen. Gleichzeitig wollen aber dann die Eltern, die ihr Schulgeld bezahlen, dass alle Kinder möglichst Abitur machen... und natürlich kann das nicht jedes Kind schaffen... Und dann gibt es ab Klasse 1 gleich drei Hauptfächer.... es ist schon schwer für unsere Kleinen... und dann noch eben die Geschichte mit den Noten...Manchmal meine ich wirklich, sollten Pädagogen viel lauter aufschreien...HALT! Aber es ist eben schwer .... Danke, aber für deinen Kommentar...es freut mich, dass ich nicht allein bin mit meiner Meinung!
      LG, Jasmin

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  5. Oioioi!
    Das war ein guter Tipp! Die basalen fertigkeiten sind einfach das Wichtigste!

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  6. Hallo Jasmin,
    Du hast das Dilemma an vielen Schulen auf den Punkt gebracht. Was ich noch anmerken möchte, und bitte nicht übelnehmen, auch du warst zuerst der Meinung, das Mãdchen müsse mehr üben ... Wir sind einfach in diese Richtung getrieben und gucken erst mit dem zweiten Blick genauer, ehrlich müssen wir nur sein. Was ich auch bedenklich finde, ist, und das hätte ich dem Vater auch so gesagt als zusätzliches Argument, dass das untaugliche Kurse sein müssen, wenn niemand einen Fortschritt bemerkt hat ... Alles andere zum Thema hast du für mich sehr gut auf den Punkt gebracht ...

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